Freitag, 27. Mai 2016

HelpX - und auf der Farm da wohnen wir...

Jetzt kann ich es ja sagen. Ich liebe Hühner. Sie sind unterhaltsame, intelligente und nicht zuletzt praktische Wesen. Wenn sie anfangen, in welken Blättern und frisch gejätetem Unkraut zu scharren, vermisse ich weder Fernseher noch Netflix-Abo. Und wenn ich das andächtig eingesammelte Ei zum Abendessen im Gemüsecurry schmecke (super, wenn man keine Lust auf Tofu oder Fleisch hat), möchte ich den Kreaturen mit den ununterbrochen hin und her zuckenden Köpfen, den neugierig pickenden Schnäbeln und den mich aus den unmöglichsten Positionen fixierenden Augen am liebsten dankbar und kumpelhaft auf die schmalen Schultern klopfen. Leider stehen die meisten Hühner aber nicht besonders auf unmittelbaren Körperkontakt.


Aber Augenkontakt geht.

Kurz vor Perth haben wir ohne Internet, ohne Auto und ohne Geld auszugeben gelebt. Wir hatten eine bequeme Matratze, ein eigenes Bad mit solargeheiztem Wasser und bekamen jeden Tag frisch gebackenes Sauerteigbrot, auf dem die salzige Butter langsam dahinschmolz. Im  Garten hat sich eine Libelle auf meinen blauen Pullover gesetzt, eine haarige Raupe ist im Eiltempo über meinen Zeigefinger gekrochen, und der flauschigste Hahn, den wir jemals gesehen haben, versuchte sich währenddessen in Tonleiterübungen. Eines der Highlights meines Tages: im Garten nachschauen, ob es eine frische Orange zu ernten gibt, die ich zum Nachtisch verspeisen kann.


Diese kreischende Federboa sparte uns morgens den Wecker.

So muss Claudia Bertani sich beim Streifen durch die Kirschplantage gefühlt haben...

Hinter uns liegt eine Minitour über die Great Ocean Road und in die Grampians. Nach fantastischen und vollgepackten drei Tagen mit großartigen Naturschauspielen, einer fröhlichen kanadisch-deutsch-englisch-japanisch-belgisch-amerikanischen Reisetruppe waren wir bereit für ein bisschen Leben abseits der stark frequentierten Routen.






Everything's bigger in Australia.
Also haben wir uns über die Internetplatform HelpX ein Zuhause auf Zeit gesucht. Wir haben ein Profil angelegt, mögliche Gastgeber, die Hilfe gebrauchen können, angeschrieben, und uns ein bisschen gefühlt wie beim Onlinedating, als die erste Antwort kam. 
Dieser Zwischenstopp abseits der Metropolen, genauer gesagt, vierzig Minuten von Perth entfernt, war der Anfang einer hoffentlich langen Karriere als HelpXer.

Als wir aus der Bahn ausstiegen, sprachen uns innerhalb von drei Minuten drei Leute unabhängig voneinander an. Sie wollten uns helfen und fragten, ob alles in Ordnung sei. Danke, wir werden abgeholt. Und danke für die freundliche Aufmerksamkeit!

Für dreimal leckere Kost pro Tag und freie Logis arbeiteten wir ab da täglich vier Stunden im Garten von Sarah und Steve, die uns mit riesengroßer Herzlickeit und  unbeschwerter Selbstverständlichkeit aufnahmen. Unkraut jäten, einen beweglichen Verschlag für die Hühner fertig fabrizieren, einen Mandarinenbaum beschneiden, Holz für den Ofen sammeln oder Mairübchen und Lauch säen. Und irgendwann während des Aufenthalts auch ein Essen für die Familie kochen. Sogar ein Wochenende gibt es, wenn man fünf Tage gearbeitet hat. Iris kommt aus einer stolzen Gärtnerdynastie. Ich stand als Kind schon auf dem Kartoffelförderband und habe eimerweise Obst aus dem Garten verspach … äh ... fachmännisch gepflückt und weiterverarbeitet. Und graben können wir spätestens seit dem Hot Water Beach auf der Coromandel/Neuseeland. Was sollte uns also noch im Weg stehen?



Der Feind. Dabei sehen sie eigentlich so hübsch aus.

Das Werkzeug.

Die Fachfrau beim Beschneiden ihres Lieblingsbaums Ni Hao.


Damit wurden wir für ein Weilchen Teil einer wundervollen, vierköpfigen Familie, die morgens um sechs Uhr aufsteht, Porridge mit selbst eingekochten Pflaumen und Brot frühstückt, zur Arbeit, in den Garten, in Kindergarten und Schule geht, nachmittags Roboter aus Pappkartons bastelt und im Spielzimmer die Holzeisenbahn im Kreis fahren lässt.


Die Sauerteigstarter Jaques und Bert

 Abends saßen wir bei Nudeln Curry oder frischen Sommerrollen (genial, um Kindern Gemüse und Salat unterzujubeln!) zusammen und haben über australische Regierungen, Zeitschriftenartikel, Reisen und deutsche Geschichte diskutiert. Samstagabend kamen Freunde zum Schweinebratenessen vorbei und der einzige Vegetarier im Raum kriegte frisch gegrillte Maiskolben und zum Nachtisch obszön schokoladige Brownies (Die bekamen die Fleischesser auch. Schade.).
Wir erfuhren viel Spannendes  über die heimische Vegetation und die Bewirtschaftung von Land mittels Feuer, wie sie die Aborigines meisterhaft verstanden haben. Mein Lieblingsfunfact: Karribäume regenerieren sich durch Buschbrände. Sie tendieren dazu, ihre Rinde abzuwerfen und dadurch Feuer zu begünstigen. Auf die Weise schaffen sie sich nebenbei die eingewanderte, konkurrierende Flora vom Hals. Steve nahm uns sogar zu einem Workshop übers Gärtnern mit, bei dem wir wieder einmal unsere Hirnwindungen daran erinnern müssen, dass man hier alles, was intensiv Sonne braucht, gen Norden ausrichtet.



Es war eine Woche ohne viel Sightseeing. Eine Woche voller kleiner, besonderer Momente. Irgendwann stand ein Känguru einfach so im Garten und begutachtete mich beim Ausbringen des Möhrensamens. Wir schauten uns an, beide regungslos, bevor es beschloss, dass der Garten zu klein für uns beide  ist und sich ein aufregenderes Objekt der Neugierde suchte. Wir haben zuvor schon Kängurus gesehen, sogar ganz aus der Nähe, aber ich kann nicht behaupten, dass sich der Anblick bereits abgenutzt hätte.
Unsere Arbeit wurde jeden Tag begleitet vom Krächzen mindestens zweier Krähen. Normalerweise klingen Vögel ja ganz fröhlich oder zumindest optimistisch. Nicht so australische Krähen. Sie hören sich an, als empfänden sie ihr Dasein zutiefst miserabel. Zum Kaputtlachen, fanden wir.
Am letzten Abend machten wir ein Picknick mit der Familie. Gegen sechs Uhr wurde der Himmel tief orangerot und verwandelte den Spielplatz, an dem wir saßen, in eine magische Kulisse. Der Kleinste reckte seinen Arm gen Himmel und rief melodramatisch: ¨I cannot reach the sky!¨ 








Wieder einmal durften wir warmherzige, kluge Menschen kennenlernen,  ein bisschen was Sinnvolles tun, die Perspektive ändern. Feine Sache.


Gekocht haben wir natürlich auch. Ein deutsches Essen war gewünscht. Wir haben uns für Kässpätzle entschieden. Dazu konnten auch die Hühner ihren Beitrag leisten. Zum Nachtisch Vanilleeis mit heißen Himbeeren.

Preisfrage: Wenn ein Schwabe und ein Thüringer in der Küche stehen, wer schabt dann die Spätzle frisch vom Brett ins siedende Wasser? Genau. Käse und gebräunte Zwiebeln drüber, und der sonst eher wählerische  Junior fordert sogar einen Nachschlag. Ich fühlte mich ein bisschen wie die Martha Stewart von Westaustralien. Darauf ein Schwarzwälder Kirschwasser.


Perfekt ausgeleuchtete Kässpätzle.




Prost, ihr Lieben! 

Eure Anja & Iris

Und nochmal eine dankbare Umarmung an Sarah und Steve (die Deutsch können, weil sie 7 Monate in Freiburg gelebt haben. Yay! :)) Ihr seid großartig! 

P.S. Filmtipp: "Babakiueria". Eine Parodie auf den Umgang von weißen Einwanderern mit Ureinwohnern. Findet sich auf den einschlägigen Videoplattformen. 

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