Sonntag, 31. Januar 2016

Abschied II

Unsere kleine 2-Zimmer-Bude platzt fast aus allen Nähten, Kinder rennen herum, Väter sitzen auf dem Fußboden, Legopfeile und Spielzeugdrachen werden in unserem Bett verteilt, es wird gelacht, Tee getrunken, später auch Ramazotti und Filu'e Ferru. Paula, eine riesige, freundliche Berner-Sennenhund-Mischung tapert zwischen den Gästen umher, lässt sich geduldig von allen streicheln und verliert haufenweise Haare: Unser Abschiedsnachmittag ist in vollem Gange. Ab 13 Uhr ist "open house" angesagt, alle Stuttgarter Freunde, die nicht grade krank im Bett liegen oder anderweitig verplant sind, schauen vorbei. Natürlich überhaupt nicht zeitversetzt und in Schichten, wie wir angenommen hatten, sondern alle gleichzeitig - und es ist wunderbar! In der Küche kriecht ein Anderthalbjähriger in unsere Waschmaschine. Derweil läuft im Hintergrund Pussy Riot von der genialen Playlist "Worldtour 2016", die ein lieber Freund extra für uns zusammengestellt hat. Nach Abschied fühlt es sich nicht wirklich an. Diese tollen Menschen sind einfach da und wir freuen uns, sie alle zu haben. Warum haben wir das eigentlich nicht viel häufiger gemacht? Eine mentale Notiz an uns selber, für die Zeit nach der Rückkehr: mehr feiern mit Freunden.


Best Playlist ever! :)
Während ich in der Küche Tee und Kaffee in rauen Mengen koche, wird öfter mal die Frage gestellt, ob wir schon nervös seien. Und ich kann nur für mich selber sagen: noch nicht. Aber vermutlich deshalb, weil sich alles so unwirklich anfühlt. In einer Woche geht's los, und rein vom Kopf her weiß ich das schon. Vom Gefühl her ist es aber noch nicht real. Werden wir wirklich in nur sieben Tagen für knapp ein Jahr auf Reisen sein? 
Jetzt grade freue ich mich einfach über das Streifenpullover-Selfie mit der einen, die Welt aus Kuchen von der anderen Freundin. Umarme hier, drücke da, knutsche süße Kinder (die das natürlich genauso wenig leiden können, wie man selber früher) und mein Herz ist ganz warm vor lauter Dankbarkeit für so viel Liebe, Interesse, Mitfreuen, jetzt-schon-vermissen und Unterstützung.


Die Welt - ein Kuchen!
Apropos Unterstützung: Vor ein paar Tagen hab ich mich von meiner besten Freundin und Homebase in Freiburg verabschiedet. Sie kümmert sich um alles, wenn was schief laufen sollte und ist auch sonst immer für mich da ...
Die andere kann ich nicht mehr in München besuchen, dafür reicht die Zeit leider nicht mehr. Einigen Freunden, die im Rest des Landes und im Ausland verteilt sind, können wir auch nur per Telefon Lebewohl sagen, aber die besuchen wir dafür gleich als erstes, wenn wir wieder da sind. Fest versprochen!

Vermissen werden wir euch alle schrecklich. Aber es ist gleichzeitig so schön zu wissen, dass es euch gibt. Vielen Dank für alles.
Auf die Freundschaft!
Eure Iris

Montag, 25. Januar 2016

Abschied I

Der letzte Karton ist noch nicht gepackt, das T-Shirt, das man nun aber endgültig mit auf die Reise nimmt, noch nicht ausgewählt, die letzte Spalte im Arbeitsstundenzettel ist noch leer. Und doch hat er sich längst eingeschlichen, der Abschied. 
Er lugt um die Ecke, wenn Kollegen fragen: “Wann ist eigentlich dein letzter Arbeitstag?” Man trifft sich mit Freunden und der letzte Satz ist: “Wir sehen uns ja aber nochmal, oder?” Der Abschied nippt an ihrem Cocktailglas und stupst mit dem Ellbogen die Erkenntnis an, dass ein letztes Mal aber doch unausweichlich ist. Sonst würde man nie aufbrechen. Und dann packt man Geschenke aus, kleine, leichte, einfach zu transportierende. Und man wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel, weil sie so liebevoll durchdacht sind. Und weil einem der Abschied gerade mal wieder so fest in die Fresse gehauen hat. 

Dieser Tage habe ich mich schon wieder verabschiedet. Zunächst nur von der Vorstellung, ein ruhiges Wochenende mit Ausschlafen und noch ein paar Organisationsaufgaben vor mir zu haben. Ich habe elf von achtundzwanzig Stunden in einem Zug verbracht. Als ich ankam, stand der Abschied schon am Gleis. 
Anstatt noch mehr gelbe Klebezettel von unserer Wohnzimmerwand zu entfernen, habe ich mich in den Oberarm kneifen und mit Essen bespucken lassen. Ich habe unflätige Witze angehört, während ich von meinem Platz auf der Eckbank aus dabei zusah, wie mein Vater meiner Mutter beim Geschirrabtrocknen half. Ich habe verfolgt, wie ein 26-Jähriger sich mit einem 37-Jährigen schlug, obwohl mich Boxen nicht sonderlich interessiert. Ich war mit vier Leuten in einem Raum und drei davon haben gleichzeitig geredet. Mit mir. 
Der Abschied saß im Strickjackenärmel meiner Oma, als ich sie anzog. Er quetschte sich aus der Voltaren-Tube meines Opas und schaute sich mit mir und meinem Vater YouTube-Clips auf dem Handy an. Er zog am Lächeln meiner Mutter, während sie versuchte, die Löcher in meinem Reisekissen auszubessern.
Es war chaotisch, laut, es wurde gejammert. Es wurde gelacht, umarmt und mit Wein angestoßen. Es war perfekt. 
Meine Familie ist sicher so wie viele andere auch. Es gibt Demenz und Hüftgelenksabnutzung, es gibt Hektik, und manchmal Verständnislosigkeit. Dieses Wochenende war das, was uns manchmal trennt, auch da. Aber es hatte keine Bedeutung. Wir haben uns verabschiedet. Wir sind aus drei Himmelsrichtungen in die Vergangenheit aufgebrochen, als wir noch alle fünf zusammen am Küchentisch saßen und Kaffee tranken und jeder dem anderen irgendwas erzählte. Und das nur, damit ich meine Reise antreten kann in dem Wissen, dass, egal wo ich bin auf der Welt, diese vier Menschen immer bei mir sein werden.

Auf die Familie.

Anja

Sonntag, 17. Januar 2016

Reisevorbereitungen III: Zweimal Russlandvisum, Пожалуйста!

Vor Gartenscham Transport. Zum Glück gibt’s G***le Translate. Es hilft dabei, das Kyrillische auf der Reisewebsite in gut verständliches Deutsch zu übertragen. Wir müssen uns also nicht sorgen. Sollte Gartenscham je ein Problem werden, wird Transport unmittelbar erfolgen.

Russland. Größer als jedes Land, das wir je bereist haben. Vermutlich größer als alle Länder zusammen, die wir je bereist haben.
Ein Mysterium, in vielerlei Hinsicht.

Da ist als erstes die Schriftbarriere auf den vielen Reisewebsites. Mein vor Jahrzehnten auto-antrainiertes Wissen aus „Russisch in 20 Lektionen“ wird wohl aufpoliert werden müssen.
Das Kyrillische neigt dazu, den ignoranten Mitteleuropäer mannigfaltig zu vereimern. Während das, was im Deutschen später mal ein i sein wird, im Russischen aussieht wie der ungelenke N-Schreibversuch eines Erstklässlers (и, sic!), kommt das R zum P amputiert um die Ecke. Wir reisen also nach Pussland. Aus schwedischer Perspektive erörtert fahren wir im Sommer ins Land der Küsschen. Das ist nicht allzu weit hergeholt. Zu DDR-Zeiten gab es bei Besuchen hochrangiger Politiker bisweilen endloses Geknutsche auf allen Seiten. Ich bin gespannt auf unsere Grenzerfahrung. Oder Grenzüberschreitung? Naja. Was soll einem gleichgeschlechtlichen Paar beim Streifzug durch endlose Birkenwälder schon groß passieren? Maximal ein bisschen Identitätsverlust. Im Ernst: Ignoriere ich die politische Lage und den Umgang mit Andersdenkenden in diesem Land? Keineswegs. Denke ich darüber nach, wie wir uns wohl fühlen werden in einem Land, in dem Offenheit und Akzeptanz nicht gerade weit oben auf der Agenda rangieren? Absolut. Glaube ich dennoch daran, dass ein Land mehr ist als die Entscheidungen seiner Politiker? Ich denke, so kann man es formulieren.  


Und trotzdem kann ich sie nicht ablegen, die Faszination an diesem Stück Erde. In meinem Kopf wartet nach einem langen Wandertag Baba Dunja auf der Schwelle des kleinen Holzhäuschens auf mich. Sie hat den Chai schon aufgebrüht und versorgt meine langsam anschwellenden Mückenstiche liebevoll mit einer hausgemachten Tinktur. Abends noch schnell in die Sauna und danach einen herzhaften Sprung in den Baikalsee. Jawoll, der Kitsch hat mich voll im Griff. (Immer mit allen Abers aus dem vorhergehenden Absatz im Hinterkopf.)

Der nächste Stolperstein: Das Visum. Do-dom. Man hat schon viel darüber gehört. Gesehen habe ich bisher noch keines.
Alles, was ich weiß: Ich brauche eine Einladung aus dem Land, eine Bestätigung, dass ich pünktlich zwischen Ein- und Ausreise krankenversichert bin, eine Rückkehrwilligkeitsdokumentation in Form meines Lohnzettels, einen funktionstüchtigen Reisepass (mit zwei freien Seiten nebeneinander!) und ein Passfoto in biometrischer Qualität.
Anstatt auf eine Einladung aus dem Kreml zu warten (Seit 36 Jahren bekomme ich von denen schon keine Post.), lade ich uns eigenständig mithilfe eines Reisebüros ein, das freundliche Unterstützung gegen eine geringe Bearbeitungsgebühr anbietet. Hier prüft man außerdem unsere Anträge mit gekonntem Blick. Und: Eigentlich ist ein Visum für Russland nur 6 Monate gültig. Wir wollen aber am 4. August erst einreisen und gern jetzt schon das nervöse Flattern in meinen Eingeweiden mit dem passenden Stempel beruhigen. Was macht also der nette Herr im Reisebüro? Er telefoniert zehn Minuten und eröffnet mir dann: „August können wir auch jetzt schon machen.“ Sag nochmal einer, Bürokratie und Flexibilität schließen einander aus. Ich sage: „спасибо“ und verabschiede mich. 

Jetzt fehlen also nur noch die Tickets für die Transsib. (So nennen sie ernsthaft einen Zug, wenn sie mit queeren Lebensentwürfen nichts am Hut haben? Ich bitte euch.)

Kann sein, dass in sieben Monaten alles ganz anders kommt. Kann sein. Bis dahin packe ich meinen Dostojewski („Der Idiot“) gegen alle Traveller-Ratschläge als Non-E-Book in den Rucksack und trinke, weil wir keinen Wodka im Haus haben, einen Martini d'oro auf die Leute in der Visumsbearbeitungsstelle in Leipzig, und noch einen auf Baba Dunja.

До свидания, eure Anja

Sonntag, 10. Januar 2016

Reisevorbereitungen - es geht weiter

Wir stehen zwischen Umzugskisten in unserem Schlafzimmer und sind etwas ratlos, wohin wir alles stellen sollen, während wir noch hier wohnen. Ja, es werden Kisten gepackt. In nicht mal mehr einem Monat (!) geht's los! 
Mit unseren Untermietern hatten wir großes Glück: Wir können fast alles stehen lassen, sodass sich die Kartons im überschaubaren Rahmen halten. Eigentlich. Hm. Wie es wohl gewesen wäre, wenn wir tatsächlich hätten ausziehen müssen? So richtig? Na ja, nicht drüber nachdenken...





Vor der Kisten-Pack-Aktion stand heute schon die Rucksack-Pack-Aktion - also zumindest das Probe-Packen. Auch das eine spannende Sache: Was nimmt man mit, was lässt man da? Reichen lange Hosen? Auch in der Mongolei, am Lagerfeuer, nach einem langen Ritt? Oder doch lieber die Thermo-Unterhose noch mit? Und wie viel wiegt der ganze Spaß dann (Dank an Sassi, für die Kofferwaage!)?
In diversen Reiseforen liest man, dass man nur so packen soll, als wäre man eine Woche unterwegs. Denn man kann immer waschen. Überall. Auch wenn's vielleicht nur mit einem Stück Seife an einem Waschbecken ist. So weit, so gut. Dann kommt aber in mir immer wieder der "was wäre wenn-Packer" durch: Was wäre, wenn es jetzt doch kälter wird in Neuseeland? Was wäre, wenn die Outdoor-Jacke irgendwann mal nicht mehr passt zur Umgebung, man also lieber eine "normale" hätte? Was wäre, wenn man den dicken Pulli doch hätte gebrauchen können? 
Auch dazu liest man den schlauen Rat: Dann kauft man eben das nach, was einem fehlt. Vor Ort. Na gut. 
Ich war ganz schön stolz, als sich in meinem Rucksack sogar noch freier Platz fand! Ähä! Bäm!
Aber, was wäre, wenn... naja, lassen wir das.




Soweit aus der Reisevorbereitungszentrale.
Danke fürs Lesen und
alles Liebe,
Iris