Montag, 25. Januar 2016

Abschied I

Der letzte Karton ist noch nicht gepackt, das T-Shirt, das man nun aber endgültig mit auf die Reise nimmt, noch nicht ausgewählt, die letzte Spalte im Arbeitsstundenzettel ist noch leer. Und doch hat er sich längst eingeschlichen, der Abschied. 
Er lugt um die Ecke, wenn Kollegen fragen: “Wann ist eigentlich dein letzter Arbeitstag?” Man trifft sich mit Freunden und der letzte Satz ist: “Wir sehen uns ja aber nochmal, oder?” Der Abschied nippt an ihrem Cocktailglas und stupst mit dem Ellbogen die Erkenntnis an, dass ein letztes Mal aber doch unausweichlich ist. Sonst würde man nie aufbrechen. Und dann packt man Geschenke aus, kleine, leichte, einfach zu transportierende. Und man wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel, weil sie so liebevoll durchdacht sind. Und weil einem der Abschied gerade mal wieder so fest in die Fresse gehauen hat. 

Dieser Tage habe ich mich schon wieder verabschiedet. Zunächst nur von der Vorstellung, ein ruhiges Wochenende mit Ausschlafen und noch ein paar Organisationsaufgaben vor mir zu haben. Ich habe elf von achtundzwanzig Stunden in einem Zug verbracht. Als ich ankam, stand der Abschied schon am Gleis. 
Anstatt noch mehr gelbe Klebezettel von unserer Wohnzimmerwand zu entfernen, habe ich mich in den Oberarm kneifen und mit Essen bespucken lassen. Ich habe unflätige Witze angehört, während ich von meinem Platz auf der Eckbank aus dabei zusah, wie mein Vater meiner Mutter beim Geschirrabtrocknen half. Ich habe verfolgt, wie ein 26-Jähriger sich mit einem 37-Jährigen schlug, obwohl mich Boxen nicht sonderlich interessiert. Ich war mit vier Leuten in einem Raum und drei davon haben gleichzeitig geredet. Mit mir. 
Der Abschied saß im Strickjackenärmel meiner Oma, als ich sie anzog. Er quetschte sich aus der Voltaren-Tube meines Opas und schaute sich mit mir und meinem Vater YouTube-Clips auf dem Handy an. Er zog am Lächeln meiner Mutter, während sie versuchte, die Löcher in meinem Reisekissen auszubessern.
Es war chaotisch, laut, es wurde gejammert. Es wurde gelacht, umarmt und mit Wein angestoßen. Es war perfekt. 
Meine Familie ist sicher so wie viele andere auch. Es gibt Demenz und Hüftgelenksabnutzung, es gibt Hektik, und manchmal Verständnislosigkeit. Dieses Wochenende war das, was uns manchmal trennt, auch da. Aber es hatte keine Bedeutung. Wir haben uns verabschiedet. Wir sind aus drei Himmelsrichtungen in die Vergangenheit aufgebrochen, als wir noch alle fünf zusammen am Küchentisch saßen und Kaffee tranken und jeder dem anderen irgendwas erzählte. Und das nur, damit ich meine Reise antreten kann in dem Wissen, dass, egal wo ich bin auf der Welt, diese vier Menschen immer bei mir sein werden.

Auf die Familie.

Anja

2 Kommentare:

  1. So hier kommt der versprochene erste Kommentar.
    Ganz wunderbar geschrieben der Text oben. Ihr werdet mir sehr fehlen....mir hat heute auch der Abschied in die Fresse gehauen. Ihr seid schuld, dass mir jetzt schlecht ist. Hab ne ganze Tafel 70%ige dunkle Schokolade verdrückt auf dem Heimweg. Hat aber auch nicht geholfen.
    Wenn ich mir einen Blogpost wünschen dürfte, würde ich hier gerne noch die geplante Reiseroute lesen. Denn ich hab sie vergessen. In meinem Alter darf man das. :p
    Alles Liebe, Biniletti Brink

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    1. Liebe Biniletti,
      du wirst uns auch fehlen! Pass gut auf dich auf und wir sehen uns bald wieder, ja?
      Deine Iris & Anja

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