Donnerstag, 14. Juli 2016

Der Himmel über Peking

Peking ist eine Geisterstadt. Der Himmel ist Zuckerwatte aus alten Abgasen und uns fällt das Atmen schwer. Die Sonne ist nur ein rundlicher Fleck, der etwas heller leuchtet als der Rest der Materie über uns. Vor den Betonquadern um unser Hotel in Flughafennähe bewegt sich nichts. Kaum jemand überquert die Straße. Und wo sind all die Fahrräder? Nur ein paar Autos auf der Stadtautobahn, die sich jedoch rasch zu einer zähflüssigen Masse zusammenballen, je näher wir der Innenstadt kommen. In der Ferne, wie eine leise Ahnung, sehen wir die Umrisse der alten Neubaublöcke. Das diffuse Licht macht sie weich, still und übernatürlich. 




Möglicherweise hat sich unser Hotel, in dem wir unsere erste von zwei Nächten in der chinesischen Hauptstadt verbracht haben, "Green Tree" genannt, um all dem einen Hauch Optimismus entgegen zu setzen. In der Glasvitrine in der Lobby gab es Zahnbürsten, Kondome, Spielkarten und Strumpfhosen. Im Flur roch es nach altem Rauch und die junge Frau an der Rezeption ließ den Satz "Ihr Zimmer kostet 207" von ihrem Handy erst übersetzen und dann auf Englisch aussprechen. Auf dem Tresen standen die Hotelvisitenkarten mit der Hoteladresse in Englisch und Chinesisch, damit man sie bei Bedarf seinem Taxifahrer zeigen kann.


Guter Hinweis fürs Leben allgemein.

Unsere erste Lektion haben wir bereits zehn Stunden zuvor am Flughafen gelernt: Nur weil wir in einem sozialistisch geprägten Land sind, heißt das nicht, dass niemand Interesse an unserem Geld hat. Die Fahrerin, die uns noch vor der Taxistation abgefangen und uns herrisch nach unserer Hoteladresse gefragt hat, war gegen kurz nach halb drei Uhr morgens im Besitz des mindestens doppelt so hohen Betrages, den die Fahrt eigentlich wert gewesen wäre. Iris zeigte zunächst noch Gegenwehr, doch letztlich waren wir einfach zu müde und froh, problemlos ein 72 Stunden gültiges Transitvisum bekommen zu haben, um die Frau gewordenene Barriere zwischen uns und den regulären Taxifahrern zu durchbrechen.


Aahh, die Fahrräder!

Auf der Straße in Peking versucht niemand, mich für einen Spottpreis zu massieren oder mir eine Fahrt irgendwohin anzubieten, wie es in Ubud der Fall war. Leider macht mir auch niemand Bananenpfannkuchen zum Frühstück. Niemanden interessiert es, wie ich mich fortbewege. Ich darf hier einfach sein, muss niemandem am laufenden Band eine Absage für seine mit Sicherheit liebevoll ausgeführte Dienstleistung erteilen. Die Leute gehen ihren Tätigkeiten nach und ab und zu stolpere ich halt mal durchs Bild. Das gefällt mir. Niemand versucht, die Ästhetik seines Hauses/Restaurants/Hutongs auf instagram-taugliche Abgeschranztheit zu polieren und irgendwo noch einen Sinnspruch für ausgebrannte Westler unterzubringen, damit diese sich in ihrer Retro- und Relaxmanie angesprochen fühlen. Nach der touristenorienierten Fülle von Angeboten auf Bali darf ich mich ironischerweise in Peking entspannen. 



Was tut man in einer Geisterstadt, wenn man nur einen Nachmittag Zeit hat? 
1) Erst einmal essen gehen. Ich finde, um irgendwo anzukommen, ist es am besten, sich hinzusetzen und etwas zu essen. Nicht nur lassen sich hervorragend die bisherigen Reiseeindrücke diskutieren und Pläne schmieden, sondern man bekommt gleich einen kulturellen Einblick mit wenig Aufwand. Wir scheinen im neumodischen Teil Pekings gelandet zu sein, denn es verschlägt uns in ein veganes Restaurant. Ich bestelle eine "Linsensuppe nach osteuropäischem Rezept" und danach einen der besten Karottenkuchen, den ich je gegessen habe. Nunja, man bekommt vielleicht auch einen Einblick in andere Kulturen mit wenig Aufwand ...


Recycling UND Bewässerungssystem. Love it!

Für Liebhaber gedeckter Farben und kräftiger Aromen.

2) Wir lassen uns mit vielen Einheimischen fotografieren. Manchmal fragt jemand sehr höfllich in gebrochenem Englisch, manchmal hält man uns nur ein Handy hin - mit ebenso großer Freundlichkeit -, was wir anfangs als Bitte zu fotografieren missverstanden haben. Nach einer Weile haben wir jedoch den Dreh raus, dass es um einen gemeinsamen Schnappschuss geht, ob die Menschen nun konkret danach fragen oder wir uns mit Gesten verständigen. 
Auch hier gilt, wie auf Bali: Wir mögen die Sprache unseres Gegenübers nicht beherrschen, aber ein Lächeln trägt schon sehr weit. Besonders die Kinder haben es mir angetan. Sie sind scheu, aber neugierig, und miteinander Grimassen schneiden geht immer.




3) Wir machen einen Selfie mit Mao, so wie Hunderte von Menschen um uns herum. Und stehen, eigenartig berührt von der massiven Selbstzufriedenheit sozialistischer Protzarchitektur und der historischen Bedeutsamkeit des Ortes, auf dem Platz des Himmlischen Friedens. 






Schlange vor der Sicherheitskontrolle am Platz des Himmlischen Friedens.

Vielleicht ist es die Wucht der Geschichte, vielleicht sind es auch bloß Luftverschmutzung und stickige Hitze, aber bei jedem Einatmen wird mein Gaumen trockener. Zum Glück ist die Frau mit dem Karton voller Wassereis nicht weit, das erst nach nichts und dann nach gefrorenem Süßstoff und Kunstbanane schmeckt. Allen anderen scheint es ähnlich zu gehen, denn in kürzester Zeit sitzen, dicht an dicht, Kinder wie Erwachsene mitten auf dem Platz, lutschen an ihrem Eis und warten darauf, dass die Wachpatrouille die chinesische Fahne einholt.





4) Wir strömen mit wieder einmal Hunderten von Menschen in Richtung U-Bahn, die uns sehr billig und, dank Stationenbeschriftung in Englisch, sehr überschaubar durch die Metropole bringt und uns unmittelbar ein Gefühl der Eigenständigkeit und Zugehörigkeit gibt.

5) Wir essen wieder, diesmal superbillig in einem Imbiss mit regionaltypischen Gerichten, in dem die Speisekarte glücklicherweise mit Bildern bestückt ist. Anders als in dem veganen Restaurant setzt man hier auf fleischliches Aroma, aber auch mit Stäbchen lässt sich hervorragend aussortieren. Das Essen ist lecker, aber an unsere balinesischen Warung-Ausflüge denke ich trotzdem wehmütig zurück, mit all den köstlichen Gewürzkombinationen, der Vegetarierfreundlichkeit und dem nasenflügelweitenden Sambal obendrauf.

6) Auf dem Heimweg in unseren Hutong an einem Obststand kaufen wir die letzten Bananen für eine Weile, weil man am Bahnhof in Peking Bananen nur eingeschweißt kaufen kann und weil in der Mongolei Obst vergleichsweise teuer ist.


Iris am Eingang unseres Hutongs.

7) Die zweite Nacht verbringen wir nicht im Hotel, sondern bei einem sehr netten Paar, das außer uns noch zwei Katzen beherbergt, dessen Gästezimmer voller DVDs steht und dessen Toilette stuhlgangfrei bleiben muss, weil die Abwasserrohre in den traditionellen Hutongs offenbar zu schmal sind. (Dafür gibt es in der Umgebung jede Menge öffentliche Toiletten.) Nach einer kurzen Nacht und einem eindrucksreichen Tag fallen wir willenlos ins Bett. Kurz vor dem Einschlafen ereilen mich wieder einmal Fassungslosigkeit und tiefe Dankbarkeit darüber, dass uns all das, was wir erleben, einfach möglich ist, dass nichts und niemand uns zurückhält, außer wir selbst.

Es gibt noch so viel zu sehen in dieser Stadt mit dem schweren Himmel, dieser entspannten, freundlichen Metropole, die letztlich doch gar nicht so geisterhaft war. 
Aber Transit heißt Transit und unser Zug wartet am nächsten Morgen auf uns - und dieses Ticket dürfen und wollen wir einfach nicht verfallen lassen ... Auf nach Ulaanbaatar!

Aufgeregte Grüße,

Eure Anja

Donnerstag, 7. Juli 2016

Eat, Cry, Love

Wir stolpern über den schmalen Gehsteig, der voller Löcher ist, groß wie Beistelltische. Es ist sehr warm, der angenehme Geruch von Räucherstäbchen liegt in der Luft. Sie qualmen aus den vielen Opfergaben, die zuhauf am Straßenrand, an kleinen Haustempeln, Motorrädern und Autos dargebracht werden. Man muss aufpassen, dass man nicht auf sie tritt, denn das wäre extrem respektlos, lesen wir im Führer. Da sie sehr liebevoll gebastelt und bestückt sind, hatten wir das eh nicht vor. Aufgrund der geringen Breite des Bürgersteigs, der oben genannten Löcher sowie der Menge von Leuten, die ihn benutzen, ist es aber tatsächlich eine Herausforderung, die nicht jeder meistert.

Wir sind auf Bali angekommen, unser erster klein wenig „exotischer“ Stop, der milde Einstieg in den etwas ungewöhnlicheren Teil unserer Reise. Nach dem Erfolg des Bestsellers Eat, Pray, Love jedoch die Destination von vielen Touristen. Als „Mallorca Australiens“ wird es schon lange bezeichnet, die Flut an Menschen, die hier ihre Erfüllung im Yoga, beim naturopathic healing und/oder Surfen suchen, nimmt stetig zu. So auch der Bauboom. Dennoch fühle ich mich in Ubud sofort wohl, mag diese kleine Stadt, die eine ehemalige Künstlerkolonie ist, auf Anhieb. Woran das liegt, kann ich gar nicht genau sagen. In der Woche, in der wir hier sind, testen wir so viele Cafés wie möglich, essen in kleinen Warungs (Imbisse) unglaublich leckeres balinesisches Essen zu unglaublich günstigen Preisen, gehen im Yogabarn mehrfach zum Üben und ich genieße die entspannte Atmosphäre der Stadt sehr.









Wovon vermutlich viele New Yorker träumen: hier rufen einem die Taxifahrer „taxi, taxi“ hinterher und hoffen auf Kundschaft. Denn auf Bali zu Fuß zu gehen, ist eher ungewöhnlich.
Obwohl unser Guesthouse mit dem schönen Pool mitten im Zentrum liegt, sodass wir bequem überall zu Fuß hinkommen, leihen auch wir uns einen Roller und stürzen uns in den Verkehr, der einem anfangs total chaotisch und verrückt erscheint. Regeln werden komplett missachtet, auch Einbahnstraßen befährt man natürlich in beiden Richtungen, balinesische Familien sitzen gern zu dritt oder viert auf einem Gefährt und transportiert wird alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Nach einer Weile merkt man jedoch, dass das, was einem chaotisch vorkommt, auf viel Rücksichtnahme basiert und somit wunderbar klappt. Zum Beispiel achtet derjenige, der am Straßenrand losfährt, überhaupt nicht darauf, was hinter ihm so angeschossen kommt. Das müssen die Heranschießenden übernehmen – und tun dies auch. Die Hupe wird nicht wie bei uns dazu benutzt, seinen Ärger über die Blödheit der anderen Verkehrsteilnehmer zum Ausdruck zu bringen, sondern dafür, vor dem Überholen anzuzeigen, dass man eben dies jetzt vorhat. Denn, siehe oben, was hinter einem passiert, interessiert einen ja sonst nicht.








Hat man das mal raus, klappt es ganz wunderbar und ich hupe uns fröhlich durch Ubud sowie zu einem Ausflug zu zwei beeindruckenden Tempeln, Tirtan Empul und Gunung Kawi. Ersterer nennt eine heilige Quelle sein eigen, wo wir – nach längerem Zögern meinerseits – uns gegen eine kleine "donasion" herumführen lassen, das Gebetsritual im Wasserbecken mitmachen und auch ein Räucheropfer darbringen. Man bedankt sich bei den Eltern sowie den Göttern und darf am Ende noch einen Wunsch äußern. Ich wünsche mir eine weiterhin reibungslose Reise, auf der wir beide gesund bleiben. 







Der zweite Tempel ist nicht ganz so beliebt bei Touristen, mit relativ wenigen Leuten kämpfen wir uns 270 steile Stufen hinunter, vorbei an wunderschönen Reisterrassen, aber auch vielen Verkaufsständen mit Klamotten, Sarongs und sonstigem Tinnef. Der Abstieg wird belohnt durch beeindruckende, in den Fels gehauene Schreine und obwohl alles seine besten Tage schon länger hinter sich hat, versprüht es trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) einen besonderen Charme.







In den kommenden Tagen besuchen wir den bekannten Affenwald von Ubud, dessen Schönheit auch die Massen an Touristen nicht abträglich sind, und machen einen Kurs in Kaffeemilchkunst, den ich mir schon lange gewünscht hatte. Wir lernen, wie man die verschiedenen Blätter, Herzen und sonstigen Verzierungen auf Milchkaffees zaubert. Am Ende zittern meine Hände. Ob das an meiner Begeisterung, am ausdauernden Üben oder vielen Probieren der tollen Kaffeekreationen liegt, kann ich nicht sagen. Ist auch egal, es hat riesigen Spaß gemacht! 















Außerdem  machen wir eines Abends einen Kochkurs bei einem wunderbaren balinesischen Paar, mit der besten Lebenseinstellung, die man haben kann: „Wir brauchen keinen Urlaub, weil uns alles, was wir tun, Freude bereitet.“ Das fantastische Essen, das wir gemeinsam zubereiten, bezeichnen sie als Medizin, weil tatsächlich alle Ingredienzen für irgendetwas gut sind. Der Abend bei ihnen ist daher unglaublich bereichernd und einer der Höhepunkte der bisherigen Reise.






Die erste Woche vergeht auf diese Weise wie im Flug, in der zweiten wollen wir ans Meer, nach Canggu.

Hier habe ich uns ein Hotel mitten im Reisfeld gebucht, das sehr malerisch, jedoch auch sehr ab vom Schuss gelegen ist. 






Über einen holprigen Feldweg gelangt man in einen kleinen Dorfkern, den wir schnell lieben lernen, da hier ein bisschen was vom „richtigen“ balinesischen Leben zu passieren scheint. Zumindest sehen wir mehr Einheimische als in der ersten Woche und essen in typischeren Warungs, bestellen meist nur mit Deuten und Handzeichen, denn hier ist man eher überrascht, wenn sich ein Tourist her verirrt, und kaum einer spricht Englisch. 




Auf einem Markt sind wir die einzigen Westler und ich kaufe meine balinesische SIM-card bei einer Muslimin, die diese sehr gekonnt in mein iPhone installiert, ohne dass ich jedoch genau verstehe, was diese jetzt beinhaltet. Für umgerechnet nur sieben Euro bringt sie uns aber gut durch den Aufenthalt und am Ende reicht das Guthaben sogar noch für ein kurzes Gespräch mit meinen Eltern.

Da die Straßen rund um Canggu wesentlich schlechter sind, als in Ubud, fahre ich hier sehr viel weniger gern, sodass sich die Aufenthalte am Strand in Grenzen halten. 






Überhaupt fühlen wir uns etwas fehl am Platz, sind wir doch weder coole Surfer, mit eigenem Board am Roller, noch trendige Hipster im angesagten Café. Lediglich beim Yoga können wir uns entspannen und üben daher relativ häufig, sitzen danach meist noch im gemütlichen Café bei einer frischen Kokosnuss, raw chocolate brownies und pumpkin cheesecake. 
An einem unserer letzten Abende treffen wir uns noch mit Lisa, die wir in Neuseeland kennengelernt hatten und die jetzt zwei Monate auf Bali verbringt.

Der oben angesprochene Bauboom ist in Canggu besonders deutlich, in Strandnähe werden gerade mehrere, für Bali sehr unübliche, riesige Wohnblocks errichtet, die vermutlich als Hotels dienen werden. Der Taxifahrer, der uns hergebracht hat, meinte leicht lakonisch: „Bald ist kein Platz mehr für uns Balinesen. Wo sollen wir denn noch hin, wenn so viele Touristen kommen?“ Im gebraucht gekauften Führer von 2014 wird Canggu noch als „verschlafenes Nest“ bezeichnet. Davon ist jedoch kaum noch was zu spüren. Vielleicht verglichen mit Kuta und Legian, den Ballermann-Städten Balis. Doch bei übervollen Cafés und Bars sowie einem nie abreißenden Strom von Rollern vom und zum Strand würde ich nicht von „verschlafen“ sprechen. Einiges  hat sich offenbar geändert auf Bali in den letzten paar Jahren. Viele Balinesen kommen uns hier auch ziemlich genervt vor. Sie sind zwar noch immer freundlich (einen unfreundlichen Balinesen gibt es  nicht), doch die Freundlichkeit kommt uns nicht authentisch vor, eher aufgesetzt und - eben - genervt. Hier trifft wohl leider das Enzensberger-Zitat zu: "Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet." 

Apropos Tourist: Für die dritte Woche planen wir dann spontan einen Roadtrip mit dem Auto, um doch noch etwas mehr von der Insel zu sehen. Auf die ganz großen Touren, z.B. auf die Nachbarinseln Lombok oder die Gillis, oder gar die weiter entfernten Flores und Komodo, habe ich grade keine Lust, obwohl sie natürlich sehr vielversprechend klingen.  Die vielen Erlebnisse der letzen Monate wollen aber erst mal verarbeitet werden und das ständige „on the road“ ist v.a. für mich sehr anstrengend. Für Bali hatte ich mir „Durchatmen“ gewünscht und auch bekommen. Anja ist so lieb und nimmt auf mich Rücksicht, obwohl es ihr eigentlich nicht so geht.
Auf einen Roadtrip aber haben wir beide Lust und so mieten wir uns ein kleines Auto und düsen los, Anja, der Meisterfahrer, natürlich am Steuer. Die kommenden drei Tage über den Osten Balis bis hoch in den Norden und durch die bergige Mitte wieder zurück sind wunderschön.














Ich bekomme einmal mehr ein schlechtes Gewissen, dass Bali so ein bisschen untergegangen ist, wir nicht noch mehr erkundet haben von dieser wunderbaren Insel. Der Westen soll z.B. sehr dünn besiedelt und viel ursprünglicher sein, als der volle Süden. Doch das müssen wir uns eben ein andermal anschauen. Da man aufgrund des Verkehrs sowie der schmalen Straßen fast immer nur um die 30-40 kmh fahren kann, schaffen wir jetzt nicht mehr Strecke. Und hetzen wollen wir nicht.

Für die letzten paar Tage kehren wir nach Ubud zurück und es fühlt sich für mich wirklich ein bisschen an wie heimkommen, alles ist vertraut, ich kenne mich aus und weiß, wo ich hin muss. Wieder laufen wir über die schmalen Gehsteige und sind froh drum, denn in Canggu gab es überhaupt keine. Da man wegen der Unebenheiten und Löcher sowie der oben genannten Opfergaben ziemlich aufpassen muss, sieht man auch immer wieder Neues, wenn man doch mal den Blick heben kann. So wird das Ganze, trotz der Vertrautheit, nie langweilig.

Der Grund, warum ich Bali zwar geliebt, aber dennoch nicht so richtig Lust auf viel Unternehmung hatte: Schon in Darwin hatte ich bemerkt, dass ich ab und zu mal traurig war, Freunden zuhause eher kritische Mails geschrieben, mehr über eigentlich unwichtige Kleinigkeiten berichtet habe, die mich stören, als über all das Schöne, was wir so erleben. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass es gar nicht so schlimm wäre, wenn wir jetzt heim fliegen würden. Was war los mit mir? Ich bin schon immer unheimlich gern gereist, habe mehrfach mit Begeisterung längere Zeit im Ausland gelebt –  da konnte es doch nicht sein, dass ich jetzt schon Heimweh hatte, nach nur vier Monaten?! Und ausgerechnet auf Bali, dieser Insel, die für viele das Paradies ist und die es einem so leicht macht, sie zu mögen. Zuhause feierte meine Familie den ersten Geburtstag meiner Großnichte. Der Sommer ging los, gute Freunde schauten gemeinsam die EM-Spiele, in Schweden (meiner Zweitheimat) wurde Midsommar gefeiert. Und ich wäre gern überall dabei, habe Sehnsucht und vermisse alles und jeden. Wir hatten im Vorfeld über den „Reiseblues“ bei Langzeitreisenden gelesen, aber nie nie NIE hätte ich gedacht, dass er mich befällt! Und vor allem: wie komme ich da jetzt wieder raus (ohne abzubrechen und nach Hause zu fahren)?
Viele gute Gespräche mit Anja, liebe Mails von guten Freunden, viel Nachdenken und Verarbeiten helfen. Auch die Ruhe, die wir uns jetzt eben mal gegönnt haben auf Bali, ohne viel Sightseeing und dauerndem Unterwegssein. Es ist ja eigentlich schön, das Zuhause zu vermissen. Ich kehre immer wieder gern zurück und freue mich jetzt schon auf alles und alle, die mich dort erwarten. Aber davor liegt erst noch ein halbes Jahr voller spannender Erlebnisse und Begegnungen vor mir. Nach einer Weile merke ich, dass ich das nicht missen will, sehr neugierig auf Peking, die Fahrt in der transsibirischen Eisenbahn und dann vor allem die Mongolei bin. Vor Russland und Indien habe ich Respekt, aber auch das will ich auf keinen Fall verpassen. Und so verabschiedet sich gegen Ende der zweiten Woche auf Bali mein Blues ganz leise und macht dem Genießen Platz. Und der Vorfreude auf alles, was da noch kommt. Ich bin gespannt und aufgeregt und sende in der Zwischenzeit meine Gedanken zu allen zuhause. Ich hab euch lieb,
bis bald,

eure Iris