Donnerstag, 7. Juli 2016

Eat, Cry, Love

Wir stolpern über den schmalen Gehsteig, der voller Löcher ist, groß wie Beistelltische. Es ist sehr warm, der angenehme Geruch von Räucherstäbchen liegt in der Luft. Sie qualmen aus den vielen Opfergaben, die zuhauf am Straßenrand, an kleinen Haustempeln, Motorrädern und Autos dargebracht werden. Man muss aufpassen, dass man nicht auf sie tritt, denn das wäre extrem respektlos, lesen wir im Führer. Da sie sehr liebevoll gebastelt und bestückt sind, hatten wir das eh nicht vor. Aufgrund der geringen Breite des Bürgersteigs, der oben genannten Löcher sowie der Menge von Leuten, die ihn benutzen, ist es aber tatsächlich eine Herausforderung, die nicht jeder meistert.

Wir sind auf Bali angekommen, unser erster klein wenig „exotischer“ Stop, der milde Einstieg in den etwas ungewöhnlicheren Teil unserer Reise. Nach dem Erfolg des Bestsellers Eat, Pray, Love jedoch die Destination von vielen Touristen. Als „Mallorca Australiens“ wird es schon lange bezeichnet, die Flut an Menschen, die hier ihre Erfüllung im Yoga, beim naturopathic healing und/oder Surfen suchen, nimmt stetig zu. So auch der Bauboom. Dennoch fühle ich mich in Ubud sofort wohl, mag diese kleine Stadt, die eine ehemalige Künstlerkolonie ist, auf Anhieb. Woran das liegt, kann ich gar nicht genau sagen. In der Woche, in der wir hier sind, testen wir so viele Cafés wie möglich, essen in kleinen Warungs (Imbisse) unglaublich leckeres balinesisches Essen zu unglaublich günstigen Preisen, gehen im Yogabarn mehrfach zum Üben und ich genieße die entspannte Atmosphäre der Stadt sehr.









Wovon vermutlich viele New Yorker träumen: hier rufen einem die Taxifahrer „taxi, taxi“ hinterher und hoffen auf Kundschaft. Denn auf Bali zu Fuß zu gehen, ist eher ungewöhnlich.
Obwohl unser Guesthouse mit dem schönen Pool mitten im Zentrum liegt, sodass wir bequem überall zu Fuß hinkommen, leihen auch wir uns einen Roller und stürzen uns in den Verkehr, der einem anfangs total chaotisch und verrückt erscheint. Regeln werden komplett missachtet, auch Einbahnstraßen befährt man natürlich in beiden Richtungen, balinesische Familien sitzen gern zu dritt oder viert auf einem Gefährt und transportiert wird alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Nach einer Weile merkt man jedoch, dass das, was einem chaotisch vorkommt, auf viel Rücksichtnahme basiert und somit wunderbar klappt. Zum Beispiel achtet derjenige, der am Straßenrand losfährt, überhaupt nicht darauf, was hinter ihm so angeschossen kommt. Das müssen die Heranschießenden übernehmen – und tun dies auch. Die Hupe wird nicht wie bei uns dazu benutzt, seinen Ärger über die Blödheit der anderen Verkehrsteilnehmer zum Ausdruck zu bringen, sondern dafür, vor dem Überholen anzuzeigen, dass man eben dies jetzt vorhat. Denn, siehe oben, was hinter einem passiert, interessiert einen ja sonst nicht.








Hat man das mal raus, klappt es ganz wunderbar und ich hupe uns fröhlich durch Ubud sowie zu einem Ausflug zu zwei beeindruckenden Tempeln, Tirtan Empul und Gunung Kawi. Ersterer nennt eine heilige Quelle sein eigen, wo wir – nach längerem Zögern meinerseits – uns gegen eine kleine "donasion" herumführen lassen, das Gebetsritual im Wasserbecken mitmachen und auch ein Räucheropfer darbringen. Man bedankt sich bei den Eltern sowie den Göttern und darf am Ende noch einen Wunsch äußern. Ich wünsche mir eine weiterhin reibungslose Reise, auf der wir beide gesund bleiben. 







Der zweite Tempel ist nicht ganz so beliebt bei Touristen, mit relativ wenigen Leuten kämpfen wir uns 270 steile Stufen hinunter, vorbei an wunderschönen Reisterrassen, aber auch vielen Verkaufsständen mit Klamotten, Sarongs und sonstigem Tinnef. Der Abstieg wird belohnt durch beeindruckende, in den Fels gehauene Schreine und obwohl alles seine besten Tage schon länger hinter sich hat, versprüht es trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) einen besonderen Charme.







In den kommenden Tagen besuchen wir den bekannten Affenwald von Ubud, dessen Schönheit auch die Massen an Touristen nicht abträglich sind, und machen einen Kurs in Kaffeemilchkunst, den ich mir schon lange gewünscht hatte. Wir lernen, wie man die verschiedenen Blätter, Herzen und sonstigen Verzierungen auf Milchkaffees zaubert. Am Ende zittern meine Hände. Ob das an meiner Begeisterung, am ausdauernden Üben oder vielen Probieren der tollen Kaffeekreationen liegt, kann ich nicht sagen. Ist auch egal, es hat riesigen Spaß gemacht! 















Außerdem  machen wir eines Abends einen Kochkurs bei einem wunderbaren balinesischen Paar, mit der besten Lebenseinstellung, die man haben kann: „Wir brauchen keinen Urlaub, weil uns alles, was wir tun, Freude bereitet.“ Das fantastische Essen, das wir gemeinsam zubereiten, bezeichnen sie als Medizin, weil tatsächlich alle Ingredienzen für irgendetwas gut sind. Der Abend bei ihnen ist daher unglaublich bereichernd und einer der Höhepunkte der bisherigen Reise.






Die erste Woche vergeht auf diese Weise wie im Flug, in der zweiten wollen wir ans Meer, nach Canggu.

Hier habe ich uns ein Hotel mitten im Reisfeld gebucht, das sehr malerisch, jedoch auch sehr ab vom Schuss gelegen ist. 






Über einen holprigen Feldweg gelangt man in einen kleinen Dorfkern, den wir schnell lieben lernen, da hier ein bisschen was vom „richtigen“ balinesischen Leben zu passieren scheint. Zumindest sehen wir mehr Einheimische als in der ersten Woche und essen in typischeren Warungs, bestellen meist nur mit Deuten und Handzeichen, denn hier ist man eher überrascht, wenn sich ein Tourist her verirrt, und kaum einer spricht Englisch. 




Auf einem Markt sind wir die einzigen Westler und ich kaufe meine balinesische SIM-card bei einer Muslimin, die diese sehr gekonnt in mein iPhone installiert, ohne dass ich jedoch genau verstehe, was diese jetzt beinhaltet. Für umgerechnet nur sieben Euro bringt sie uns aber gut durch den Aufenthalt und am Ende reicht das Guthaben sogar noch für ein kurzes Gespräch mit meinen Eltern.

Da die Straßen rund um Canggu wesentlich schlechter sind, als in Ubud, fahre ich hier sehr viel weniger gern, sodass sich die Aufenthalte am Strand in Grenzen halten. 






Überhaupt fühlen wir uns etwas fehl am Platz, sind wir doch weder coole Surfer, mit eigenem Board am Roller, noch trendige Hipster im angesagten Café. Lediglich beim Yoga können wir uns entspannen und üben daher relativ häufig, sitzen danach meist noch im gemütlichen Café bei einer frischen Kokosnuss, raw chocolate brownies und pumpkin cheesecake. 
An einem unserer letzten Abende treffen wir uns noch mit Lisa, die wir in Neuseeland kennengelernt hatten und die jetzt zwei Monate auf Bali verbringt.

Der oben angesprochene Bauboom ist in Canggu besonders deutlich, in Strandnähe werden gerade mehrere, für Bali sehr unübliche, riesige Wohnblocks errichtet, die vermutlich als Hotels dienen werden. Der Taxifahrer, der uns hergebracht hat, meinte leicht lakonisch: „Bald ist kein Platz mehr für uns Balinesen. Wo sollen wir denn noch hin, wenn so viele Touristen kommen?“ Im gebraucht gekauften Führer von 2014 wird Canggu noch als „verschlafenes Nest“ bezeichnet. Davon ist jedoch kaum noch was zu spüren. Vielleicht verglichen mit Kuta und Legian, den Ballermann-Städten Balis. Doch bei übervollen Cafés und Bars sowie einem nie abreißenden Strom von Rollern vom und zum Strand würde ich nicht von „verschlafen“ sprechen. Einiges  hat sich offenbar geändert auf Bali in den letzten paar Jahren. Viele Balinesen kommen uns hier auch ziemlich genervt vor. Sie sind zwar noch immer freundlich (einen unfreundlichen Balinesen gibt es  nicht), doch die Freundlichkeit kommt uns nicht authentisch vor, eher aufgesetzt und - eben - genervt. Hier trifft wohl leider das Enzensberger-Zitat zu: "Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet." 

Apropos Tourist: Für die dritte Woche planen wir dann spontan einen Roadtrip mit dem Auto, um doch noch etwas mehr von der Insel zu sehen. Auf die ganz großen Touren, z.B. auf die Nachbarinseln Lombok oder die Gillis, oder gar die weiter entfernten Flores und Komodo, habe ich grade keine Lust, obwohl sie natürlich sehr vielversprechend klingen.  Die vielen Erlebnisse der letzen Monate wollen aber erst mal verarbeitet werden und das ständige „on the road“ ist v.a. für mich sehr anstrengend. Für Bali hatte ich mir „Durchatmen“ gewünscht und auch bekommen. Anja ist so lieb und nimmt auf mich Rücksicht, obwohl es ihr eigentlich nicht so geht.
Auf einen Roadtrip aber haben wir beide Lust und so mieten wir uns ein kleines Auto und düsen los, Anja, der Meisterfahrer, natürlich am Steuer. Die kommenden drei Tage über den Osten Balis bis hoch in den Norden und durch die bergige Mitte wieder zurück sind wunderschön.














Ich bekomme einmal mehr ein schlechtes Gewissen, dass Bali so ein bisschen untergegangen ist, wir nicht noch mehr erkundet haben von dieser wunderbaren Insel. Der Westen soll z.B. sehr dünn besiedelt und viel ursprünglicher sein, als der volle Süden. Doch das müssen wir uns eben ein andermal anschauen. Da man aufgrund des Verkehrs sowie der schmalen Straßen fast immer nur um die 30-40 kmh fahren kann, schaffen wir jetzt nicht mehr Strecke. Und hetzen wollen wir nicht.

Für die letzten paar Tage kehren wir nach Ubud zurück und es fühlt sich für mich wirklich ein bisschen an wie heimkommen, alles ist vertraut, ich kenne mich aus und weiß, wo ich hin muss. Wieder laufen wir über die schmalen Gehsteige und sind froh drum, denn in Canggu gab es überhaupt keine. Da man wegen der Unebenheiten und Löcher sowie der oben genannten Opfergaben ziemlich aufpassen muss, sieht man auch immer wieder Neues, wenn man doch mal den Blick heben kann. So wird das Ganze, trotz der Vertrautheit, nie langweilig.

Der Grund, warum ich Bali zwar geliebt, aber dennoch nicht so richtig Lust auf viel Unternehmung hatte: Schon in Darwin hatte ich bemerkt, dass ich ab und zu mal traurig war, Freunden zuhause eher kritische Mails geschrieben, mehr über eigentlich unwichtige Kleinigkeiten berichtet habe, die mich stören, als über all das Schöne, was wir so erleben. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass es gar nicht so schlimm wäre, wenn wir jetzt heim fliegen würden. Was war los mit mir? Ich bin schon immer unheimlich gern gereist, habe mehrfach mit Begeisterung längere Zeit im Ausland gelebt –  da konnte es doch nicht sein, dass ich jetzt schon Heimweh hatte, nach nur vier Monaten?! Und ausgerechnet auf Bali, dieser Insel, die für viele das Paradies ist und die es einem so leicht macht, sie zu mögen. Zuhause feierte meine Familie den ersten Geburtstag meiner Großnichte. Der Sommer ging los, gute Freunde schauten gemeinsam die EM-Spiele, in Schweden (meiner Zweitheimat) wurde Midsommar gefeiert. Und ich wäre gern überall dabei, habe Sehnsucht und vermisse alles und jeden. Wir hatten im Vorfeld über den „Reiseblues“ bei Langzeitreisenden gelesen, aber nie nie NIE hätte ich gedacht, dass er mich befällt! Und vor allem: wie komme ich da jetzt wieder raus (ohne abzubrechen und nach Hause zu fahren)?
Viele gute Gespräche mit Anja, liebe Mails von guten Freunden, viel Nachdenken und Verarbeiten helfen. Auch die Ruhe, die wir uns jetzt eben mal gegönnt haben auf Bali, ohne viel Sightseeing und dauerndem Unterwegssein. Es ist ja eigentlich schön, das Zuhause zu vermissen. Ich kehre immer wieder gern zurück und freue mich jetzt schon auf alles und alle, die mich dort erwarten. Aber davor liegt erst noch ein halbes Jahr voller spannender Erlebnisse und Begegnungen vor mir. Nach einer Weile merke ich, dass ich das nicht missen will, sehr neugierig auf Peking, die Fahrt in der transsibirischen Eisenbahn und dann vor allem die Mongolei bin. Vor Russland und Indien habe ich Respekt, aber auch das will ich auf keinen Fall verpassen. Und so verabschiedet sich gegen Ende der zweiten Woche auf Bali mein Blues ganz leise und macht dem Genießen Platz. Und der Vorfreude auf alles, was da noch kommt. Ich bin gespannt und aufgeregt und sende in der Zwischenzeit meine Gedanken zu allen zuhause. Ich hab euch lieb,
bis bald,

eure Iris


1 Kommentar:

  1. Voll gut, dass du den Blues überwunden hast! Es warten noch so viele Abenteuer und wunderbare Erlebnisse auf euch! Das wird spitze :)

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