Montag, 7. März 2016

And the Award for finding a Fernseher goes to ...

Nach der in unserem Kulturkreis angenommenen Zeitrechnung sind wir seit einem Monat unterwegs. Es könnten auch anderthalb Wochen sein. Oder ein halbes Jahr.
Die Art, wie wir reisen, erfordert in acht von zehn Fällen den energischen Blick voraus. Routen planen, Lebensmittelvorräte anlegen, die man zu zweit aufbrauchen kann, bevor sich der immer wieder die Kühlkette unterbrechende Kühlschrank in unserem Van seinen Teil davon holt, ohne auf frisches Obst und Gemüse, auf Milchkaffee, Porridge und Spiegeleier verzichten zu müssen. Wanderwege eruieren. Entfernungen und Zeit abschätzen.
Während hier so langsam die Hagebutten erröten und der Teint so langsam auch ohne Rouge nach Leben aussieht, wird uns, ebenfalls vorausschauend, klar, dass wir in diesem Jahr keinen Frühling erleben werden. Wir sind aus dem Winter direkt in den Spätsommer gereist, werden Herbst und wieder Sommer und dann gleich wieder Winter durchleben. Also alles ein wenig anders als sonst.
Ein Highlight meiner sonst üblichen Winter ist die Oscarverleihung im späten Februar. Kinoprogramme-Studieren und gezieltes Filmegucken gehören für mich zum festen Ritual in den Monaten davor. Nach der Verleihung nehme ich immer einen Tag Urlaub, um ungestraft bis sechs Uhr morgens auf einer samtweichen Couch fernsehen zu können. Obwohl ich dieses Jahr eine Pause zu machen gedachte, einfach, weil es genug andere Dinge zu tun gab, konnte ich letzten Endes doch nicht anders und bin wieder einmal mehr ins Kino getingelt, um mich adäquat vorzubereiten. Die Verleihung anschauen? Hm. Mal sehen, was sich so ergibt (Klassische Koffer-Mentalität.). Immerhin musste ich nicht extra frei nehmen.

Zeit: Montag, 29. Februar. Anders als an anderen Tagen, an denen es Gespräche gibt, die wie folgt ablaufen: “Was haben wir heute eigentlich? Mittwoch?” “Freitag.”, wissen wir beide sehr genau, welcher Tag heute ist.
Ort: südlicher Zipfel der neuseeländischen Südinsel. Colac Bay.

Selber Ort, am Abend zuvor.

Handlung: Wir wachen auf. Nach einer unruhigen Nacht mit viertelstündlichen Schlafintervallen, in der der Regen von allen Seiten gegen unseren Camper trommelte, nay, thrashmetalte, während die dazugehörige Brise uns die physikalischen Grundlagen von vergleichsweise schmales, hohes Auto plus Windgeschwindigkeit plus ungeschütztes Parken direkt am Meer ist gleich eine weniger gute Idee vermittelte.
Trotz des Schlafmangels ist die Mission für den Tag so klar wie der Oscar für Leonardo diCaprio: Findet einen Fernseher.
Also rechnen unsere Hauptdarstellerinnen die voraussichtliche Anfangszeit der Show inklusive Zeitverschiebung aus, was bei exakt zwölf Stunden keine höhere Mathematik ist, und fahren ein paar hundert Meter zum nächsten Backpackerhostel/Motorcamp in Colac Bay.
Die Bar ist menschenleer. Im Radio läuft ein Lied, das klingt, als würden wir gerade in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten mit unserem Truck zum Holzmachen fahren, nachdem wir zum Frühstück drei Eier mit kross gebratenem Bacon verdrückt haben.
Der Betreiber des Camps und ich blättern gemeinsam das Fernsehprogramm in der Tageszeitung durch. Academy Awards gibt es in Neuseeland exklusiv auf Sky. Movie Premiere. Hat er nicht. “You should find a motel.”
Also weiter, oder besser zurück nach Riverton. Dort gibt es mehr Touristen, ergo bestimmt auch Motels. Die Frau in der Touristeninformation lacht immerhin herzlich, als ich ein Motel mit Stundenpreisen vorschlage. Sie würde mir ihren eigenen Fernseher anbieten, aber Sky hat sie nicht. Dann lieber nicht.
Das örtliche Pub, “The Carrier of Arms”? Die kühle Blonde an der Bar schaut nachdenklich. Sie schaltet sich durch alle verfügbaren Sender und ruft schließlich den Mann zu Hilfe, der gerade den Spielautomaten repariert, extra für mich auf seinem Smartphone recherchiert und wissen will, ob “The Revenant” wirklich so gut sei. Ergebnis: Man würde extra für mich das Fernsehprogramm im Pub ändern, aber es gibt den richtigen Kanal nicht.
Zwei Orte weiter.
Ein Hotel. Sie haben Sky. Aber nur die Sportkanäle.
Ein Motel. “This is an unusual question indeed.”
Die nächste Touristeninformation. Wäre ich auf der Suche nach dem passenden Wandertrail, hätte man Dutzende Flyer für mich. Es überschreitet fast die Grenze zur Frechheit, bei der umgebenden Landschaft nach einer Glotze zu fragen, vor der man den Nachmittag verbringen kann.
Exklusivität ist so eine Sache. Sie ist der kapitalistische Euphemismus für Ausgrenzung, eine Art Autokratie, der sich in Southland offenbar niemand unterworfen hat.
Noch zwanzig Minuten bis zum Eröffnungsmonolog. Meine Spur führt mich in die Last Light Lodge. Last Hope für mich. Im Film hätte die Musik längst drängende Rasanz erreicht, die Violinisten würden mindestens in Sechzehnteln streichen.
Schnitt zu einer freundlich, aber schüchtern lächelnden Französin hinter dem Tresen. Ich trage mein Anliegen vor. Sie zögert. Sie ruft ihren Chef.
Schnitt. Ich laufe zum Auto, um Iris zu holen.
Schnitt. Mein Gesicht, halbnah. Ich schüttele den Kopf.
Eigentlich müsste es jetzt regnen.
Mission gescheitert. Sowas passiert sonst maximal bei Wim Wenders. Und so cinematografisch ästhetisch war der Vormittag nicht einmal.
Aufgeben? Ja. Muss auch manchmal sein. Unsere Heldinnen ertränken ihre gar nicht so große Enttäuschung in der Sauce Hollandaise, in der zwei “Eggs Benaddict” schwimmen.

Fett hilft.


Katze streicheln hilft auch.

Manchmal fällt es nicht leicht, bei aller Aufregung und Begeisterung für das Neue, das wir täglich sehen, hören, fühlen, auf die liebsten Rituale verzichten zu müssen. Aber wir waren einen Vormittag lang zwei Frauen mit einer Mission, auf einer fluchtwagenartigen Fahrt, die uns an Orte geführt und mit Menschen ins Gespräch gebracht hat, an denen wir sonst ganz sicher einfach vorbeigefahren wären.


Bonuspunkt: Der Blick ist wieder frei für Natur. Monkey Island.

Der Blick zurück, der bei aller Voraussicht notwendig für die Seelenhygiene ist, ist also keineswegs trauerumflort, auch wenn ich die Verleihung gern am Stück und nicht in rudimentären Bruchteilen vier Tage später im Internet auf einem Campingplatz in Wanaka gesehen hätte.
Und letztlich sorgt die Reiseregie doch noch für ein Happy End: Dinner (Pizza mit Pilzen, Parmesan und Trüffelöl bei Francescas Pizza-Foodtruck), and zuvor a movie (“Spotlight”) im einzigartigen “Cinema Paradiso”, in dem man in alten Sofas oder gebraucht gekauften Flugzeugsitzen versinkt und in der Pause seine Zähne in frisch gebackene Double Chocolate Chip Cookies schlagen kann. Oder ein hausgemachtes Eis mit klingenden Namen wie “Chunky Monkey” (Banane und geröstete Erdnüsse) löffeln.
Ausgleichende Gerechtigkeit für erfolglose Cineasten existiert also. 
Und morgen gibt’s wieder Gemüse.

9 Kommentare:

  1. ... Und ich bleibe dabei: Schreib ein Buch.

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  2. Ich finde eure Story viel unterhaltsamer als jede Oskarverleihung!! Und ja, das mit dem Buch könnte sicher auch eine erfolgsgeschichte werden...;-)

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  3. Liebe iris, kennst du mein Profil bild???

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  4. Sodele...Jetzt hab ich so lang nix kommentiert - sozusagen mein Blog debut;-)) dass ich gleich dreimal schreiben muss!! Hatte es heute mit sassi- ja, wir wandeln auf alten gemeinsamen pfaden-:) bei einem wunderbaren treffen - natürlich!!! von unseren 2 abhosteln und mussten feststellen,dass wir natürlich irrsinnig oft an euch denken und eure reise sehr interessiert verfolgen,aber noch nix kommentiert haben...gesagt, getan..Wenn nicht jetzt,wann dann;-) sitze mit einem tannzäpfle in unserer Werdegang ähnlichen Airbnb Traumwohnung in der wehre - also genau zwischen unserer guten alten hildastr und dem werderring und denke noch ein bisserl fester an dich, liebste iris...tja..Und schreibe diesen wahnsinnig langen kommentar��macht weiter so,denn ihr zwei macht es genau richtig und füttert uns mit euren tollen Fotos und spannenden berichten-thanxxxxxx und ganz herzliche grüße und Millennium back aus Freiburg������

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  5. Antworten
    1. Ach, liebste Melli-Maus, wie schön auch auf diesem Weg von dir zu hören! :) Danke für die süßen Kommentare! Ich hab auch fest an euch gedacht ( und tue das natürlich öfters) und wäre soooo gern dabei gewesen in Freiburg! Aber das machen wir, wenn wir wieder da sind, ja?
      Dicker Kuss und bis bald, deine Iris

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  6. Liebe Iris, liebe Anja,
    euren Blog zu lesen ist ein Genuss - meiner Freundin darf ich ihn allerdings nicht zeigen, die schluchzt mir dann vor lauter Fernweh nur noch die Ohren voll ... Ich bin jetzt treue Abonnentin (habe ich spät entdeckt!) und bin höchst gespannt auf alles, was kommt ... Passt schön auf euch auf! Liebste Grüße aus Berlin, Karen-Susan

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